22 Januar 2014

pssst, it's ok not to be yourself, honey

Du bist jetzt monatelang ungeschminkt, hast dir die haare kurz geschnitten, trägst ein piercing im gesicht und am liebsten eine jogginghose an den beinen. die leute wissen, dass eine prügelei mit dir kein in-den-haaren-ziehen ist, dass deine anzeigen über ordnungswidrigkeiten weit hinausgeschossen sind, aber zumindest du und deine engsten wissen, dass das nichts an daran ändert, dass du eine frau bist. Dafür brauchst du und auch sonst niemand kein puppengesicht, keine hohe stimme und schüchternheit. weiblich bedeutet in deiner welt nicht, sich verstellen zu müssen.

Nicht, dass du nicht selbst von minderwertigkeitskomplexen geplagt in den spiegel blickst, buch darüber führst was du isst, und nicht, dass du nicht selbst dein trauriges ego mit benebelten one-night-stands und lieblosen affären über wasser hältst. aber hauptsache nicht diesem vorgeschriebenen bild entsprechen, schönheit anders leben. Den schein waren, dass du über solchen komplexen stündest.

Dabei trotzdem nicht zu verurteilen, wer gefallen an dem typischen frau-sein hat, das ist die kunst. deshalb ist es auch ok, dass du jetzt auch gern mal wieder die wimperntusche schwingst und den lippenstift zückst. mach ich schließlich, weils mir gefällt, und nicht um irgendwem andres zu gefallen, nicht wahr? aber klar doch, wer denn nicht!

Du fährst monatelang mit dem bus in dein kleines ghetto und hast meistens deine ruhe. zwei tage lang haust du dir ein bisschen was ins gesicht, und wirst zwei mal im bus blöd angemacht als ob das eine einladung sei, obwohl du nach wie vor eine jogginghose trägst, grade noch in einem dieser bonzen-marken-läden geklaut (natürlich nur weil DU das wolltest, und nicht weil sportmarken halt angesehener sind). du gehst fast jedes wochenende in bars, szene-schuppen, kneipen, auf partys, aber an diesem einen abend, wo du dein gesicht bearbeitet hast, gehst du mit zwei neuen nummern nach hause, statt mit zu irgendwem nach hause.

Du willst dich eigentlich nur mal in die feminine rolle geben, weil du halt
bock hast dich zu schminken, aber dann erinnerst du dich wieder, wie viel einfacher es war und immer noch ist, nicht zu versuchen, irgendwas zu ändern.

17 Januar 2014

wo zur verfickten hölle steckst du

Es ist der dritte tag, an dem ich suchend durch die flure wandere und zu ihrer schwester gehe. die sagt zum dritten mal nur "ich weiß nicht wo sie ist, und es interessiert mich auch nicht mehr." diesmal fange ich keine diskussion an, hab das gefühl, dass dazu keine zeit mehr ist. all das hat seine gründe, ich weiß, und ich meine verantwortung.
"Sie ist seit tagen nicht mehr aufgetaucht. ich kann sie nicht erreichen, die nummer ist tot. die leute vom jugendamt und die zwielichtigen leute, bei denen sie unterkommt, kenne ich nicht. wissen sie was mit ihr ist?" und da hört unsere stufenleiterin endlich mal auf von scheiß fehlstunden und defiziten zu reden und bewegt ihren arsch in ihr büro.
Vielleicht habe ich es mir so nun gänzlich bei dem einzigen menschen an dieser schule, der mir etwas bedeutet, verscherzt. vielleicht bin ich jetzt ein barmherziger samariter, weil ich ihre zuneigung für das wissen, dass es ihr gut geht, aufs spiel setze. dafür, dass sich jetzt vielleicht jemand um sie und ihre situation kümmert.

Vor meinen augen spielen sich bilder ab, meine phantasie dreht am rad, erinnerungen kommen hoch. was ich mit leuten aus der gegend erleben musste, in der sie sich verkriecht. wie es sich angefühlt hat, was ich alles ertragen habe und zu was es mich gemacht hat. aber es ist nur die gegend, nicht die gleichen leute.
Du weißt doch garnicht, von welchen leuten sie genau spricht. gäbe es nicht schlimmere als die gleichen dort unten? bemerkst du etwa nicht die die anzeichen in aussehen und benehmen? hat sie bei dir etwa jemand bemerkt?
O wo zur hölle steckst du nur.

05 Januar 2014

Traumtagebuch #1

Meinen kater felix in den armen, renne ich panisch durchs gebäude. ich weine, weil ich so glücklich bin ihn wieder zu haben, aber auch aus angst, weil sie hinter mir her sind um ihn mir wieder weg zu nehmen. im rennen schreie ich ihnen zu: "guckt doch wie er sich in meinen armen bewegt. hört mir zu, er lebt wirklich!"
Es ist der todestag von felix, und ich war in der nähe seines grabes. ich habe ihn gehört, er hat gejammert, er hat mich gerufen, und meine hände sind noch voller erde, denn ich habe ihn eigenhändig ausgegraben.
Er ist nervös, aber versucht nicht aus meinen armen zu flüchten. "shh shh" mache ich immer wieder, während ich ihn an mich presse. wieder so weich und warm, nicht steif und kalt, wie an dem tag, an dem ich ihn begraben habe.
Wir kauern hinter säulen, als beängstigende polizeieinheiten durch die eingänge ströhmen. noch während ich, meinen toten, lebenden kater in den armen, in ein badezimmer stürze spüre ich, wie er beginnt zu erde zu werden. aber das kann nicht sein, er kann nicht in die erde zerfallen, aus der ich ihn geholt habe. und draußen schreien sie: "komm raus, hör doch auf, er zerfällt!"
Woher wissen sie das, wenn sie denken, ich wäre eine leichenschänderin? ich verstehe die welt, in der tote haustiere leben, nicht mehr.
Mit ihm auf dem arm verbarrikadiere ich das badezimmer. ich höre sie kommen, ihren gleichschritt, ihre erbarmungslosigkeit. ich versuche seinen atmenden, zerfallenden körper zusammenzuhalten, während ich den boden mit seife einschmiere und uns hinter dem vorhang der badewanne verstecke.
Ich will die zeit die mir mit ihm verbleibt herauszögern, doch als sie mich aus dem badezimmer zerren halte ich nur noch einen klumpen erde in den armen und schreie wirre sätze darüber, dass er gelebt hat, dass ich ihn gehört habe, dass er zu mir zurückgekommen ist, so wie ich es mir all die zeit sehnlichst gewünscht hatte, und dass er nun wieder fort ist... 
~
Dieser traum sitzt mir noch so in den knochen, dass ich beim aufschreiben dieser verkürzten version den kloß im hals spüre. felix ist erst vor wenigen monaten gestorben, nachdem er gut 12 jahre mein leben begleitet hat. in einer nacht und nebel aktion begruben meine mutter und ich ihn hinter unserem haus, um keinen stress mit den nachbarn zu kriegen. kurz vor seinem tod, als schon klar war, dass es bald vorbei sein würde, habe ich stephen kings "friedhof der kuscheltiere" gelesen und an vielen stellen, an denen es um geliebte haustiere ging, rotz und wasser geheult. wer das nicht nachvollziehen kann, dem empfehle ich dieses buch wärmstens.